Reform der Pflegeversicherung zum 1. Juli 2008: Höhere Beiträge und Auszeit vom Job

vom 18. Juni 2008 (aktualisiert am 13. Oktober 2009)
Von: Lutz Schumann

Bei der Pflegeversicherung treten zum 1. Juli 2008 wichtige Änderungen in Kraft. Zum einen steigt der Beitragssatz zur Pflegeversicherung. Zum anderen erhalten Arbeitnehmer einen gesetzlichen Anspruch auf Pflegezeit, der im Pflegezeitgesetz (PflegeZG) verankert ist. Demnach dürfen sie kurz- oder langfristig auf ihrer Arbeit auszusetzen, um Angehörige zu pflegen. Nachfolgend lesen Sie die Änderungen im Detail.

Steigender Beitragssatz zur Pflegeversicherung:

Der allgemeine Satz steigt auf 1,95 Prozent (vorher: 1,7 Prozent). Für Kinderlose, die das 23. Lebensjahr vollendet haben, steigt er auf 2,2 Prozent (vorher: 1,95 Prozent). Arbeitgeber und Arbeitnehmer tragen diese Beiträge je zur Hälfte. Der Arbeitnehmer muss nur den Beitragszuschlag für Kinderlose (0,25 Prozent) allein tragen.

Achtung! In Sachsen ist die Beitragslast zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern weiterhin abweichend verteilt: Der Arbeitgeber trägt 0,475 Prozent und der Mitarbeiter 1,475 Prozent. Ein kinderloser Mitarbeiter, der das 23. Lebensjahr vollendet hat, trägt 1,725 Prozent).

Einführung einer Pflegezeit für Arbeitnehmer:

Nach der neuen Pflegerechtsreform haben Arbeitnehmer, die nahe Angehörige pflegen wollen, ab Juli einen gesetzlichen Anspruch auf eine Auszeit vom Job. Sie können sich entweder bis zu 10 Tage von der Arbeit freistellen lassen, um die Pflege zu planen und umzusetzen. Oder sie erhalten für höchstens 6 Monaten eine Auszeit oder eine Teilzeitarbeitsstelle, um einen nahen Angehörigen zu Hause zu pflegen.

"Nahe Angehörige" sind laut Gesetz:

  • Eltern und Schwiegereltern,
  • Großeltern,
  • Ehegatten,
  • Lebenspartner,
  • Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft,
  • Geschwister,
  • leibliche Kinder,
  • Adoptiv- und Pflegekinder sowie solche des Ehegatten oder Lebenspartners und
  • Schwieger- und Enkelkinder.

Wer Pflegezeit beanspruchen darf: Das neue Gesetz spricht von "Beschäftigten". Es gilt also für Arbeitnehmer, Auszubildende und arbeitnehmerähnlichen Personen, zum Beispiel Heimarbeiter.

Die langfristige, bis zu 6 Monate dauernde Auszeit für Arbeitnehmer gilt nur in Firmen mit mehr als 15 Mitarbeitern. Achtung! Für die Berechnung des maßgeblichen Grenzwerts gilt das sogenannte Kopfprinzip. Das heißt: Jedes regelmäßige Beschäftigungsverhältnis zählt mit, egal ob Teilzeit- oder Vollzeitbeschäftigung, also auch Auszubildenden, Putzfrauen und Minijobber.

Die kurzfristige Beurlaubung bis maximal 10 Tage gilt dagegen für alle Unternehmen, selbst für kleine Betriebe mit einem einzigen Mitarbeiter.

Kündigungsschutz: Arbeitnehmer genießen während der Pflegezeit § 5 Abs. 1 PflegeZG einen besonderen Kündigungsschutz. Dieser ist vergleichbar mit dem Mutterschutz und der Elternzeit. Das Besondere: Er beginnt bereits mit der Ankündigung des Mitarbeiters und dauert bis zum Ende der von ihm gewählten Auszeit.

Unwägbarkeiten für Arbeitgeber: Mit der Pflegezeit entsteht eine neue Unwägbarkeit für Arbeitgeber, zusätzlich zu den Ausfallgründen Elternzeit, Krankheit und Urlaub. Unternehmer müssen jetzt damit rechnen, dass ihre Mitarbeiter für bis zu 6 Monate Pflegezeit beanspruchen, um nahe Angehörige zu Hause zu pflegen. Das Gesetz sieht kurze Ankündigungsfristen von 3 bis 10 Tagen vor, wodurch weitere große planerische Probleme entstehen können.

Auf einen Blick: Die kurzzeitige Pflegezeit (Arbeitsverhinderung bis 10 Tage)

Voraussetzung 1: Vorliegen einer Pflegebedürftigkeit. Der Angehörige des Arbeitnehmers muss pflegebedürftig sein (mindestens die 1. Pflegestufe nach dem Sozialgesetzbuch). Ein Gutachten der Kranken- oder Pflegekasse muss (noch) nicht vorliegen.

Voraussetzung 2: Akut aufgetretene Pflegesituation. Der Pflegefall muss überraschend aufgetreten und nicht vorhersehbar gewesen sein.

Mitteilungspflicht der Arbeitsverhinderung: innerhalb von 1 bis 3 Tagen.

Lohnfortzahlung: Kein Anspruch auf Lohnfortzahlung laut Pflegezeitgesetz. Allerdings kann sich dieser aus anderen Vorschriften ergeben, zum Beispiel aus dem Arbeits- oder Tarifvertrag. Juristen verweisen hier vor allem auf Paragraf 616 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB): Danach hat ein Arbeitnehmer bei einer persönlichen Arbeitsverhinderung Anspruch auf bezahlte Freistellung, wenn er unverschuldet für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit durch einen in seiner Person liegenden Grund an der Arbeitsleistung verhindert ist. Die Rechtsprechung erkennt auch die Pflege naher Angehöriger als berechtigten Grund an.

Im Klartext: Bislang hatte ein Arbeitnehmer keinen Anspruch auf eine Pflegezeit. Aber wenn das Unternehmen ihm diese Auszeit freiwillig gewährte, dann hatte er immer Anspruch auf fortgezahlten Lohn. Daher gehen die Rechtsexperten überwiegend von einer Lohnfortzahlung bei Pflegezeit aus. Endgültig geklärt wird dieser Punkt erst dann, wenn ein Arbeitgeber sich weigert, für eine kurzfristige Auszeit weiterhin Lohn zu zahlen, und deshalb vors Arbeitsgericht zieht.

Kündigungsschutz: ja

Wie Arbeitgeber reagieren können: Arbeitgeber können sich nicht gegen eine kurze Auszeit eines Mitarbeiters zur Pflege von Angehörigen wehren. Sie müssen ihrem Mitarbeiter den Wunsch nach einer Freistellung von der Arbeit bis maximal 10 Tage erfüllen. Nach dem Wortlaut des Gesetzes werden Terminwünsche des Chefs nicht berücksichtigt.

Auf einen Blick: Die langfristige Pflegezeit (Arbeitsverhinderung bis 6 Monate)

Voraussetzung 1: Unternehmensgröße. Gilt nur in Firmen mit mehr als 15 Mitarbeitern.

Voraussetzung 2: Vorliegen einer Pflegebedürftigkeit. Der nahe Angehörige des Arbeitnehmers ist bereits pflegebedürftig. Zudem muss der Angehörige in häuslicher Umgebung gepflegt werden.

Mitteilungspflicht: Will ein Arbeitnehmer Pflegezeit beanspruchen, muss er dies seinem Arbeitgeber spätestens 10 Arbeitstage vorher schriftlich mitteilen. Eine Bescheinigung der Pflegekasse oder des medizinischen Dienstes der Krankenversicherung über eine bestehende Pflegebedürftigkeit eines Angehörigen ist vorzulegen.

Achtung! Der Mitarbeiter muss seinem Unternehmen mitteilen, wie lange die Pflegezeit dauern soll und ob er voll oder nur teilweise freigestellt werden will.

Lohnfortzahlung: nein

Kündigungsschutz: ja

Wie Arbeitgeber reagieren können: Auch die Inanspruchnahme der Pflegezeit bedarf nicht ihrer Zustimmung. Einzige Ausnahme: Der betroffene Mitarbeiter muss sich bei seinen Wünschen nach Verringerung oder Verteilung der Arbeitszeit den betrieblichen Gegebenheiten unterordnen. Zudem muss dies zwischen Arbeitgeber und Mitarbeiter schriftlich vereinbart werden.

Mehr Tipps zum Thema in diesen Rubriken: Arbeitnehmer, Familie, Gehaltsextras, Selbstständige, Unternehmer