Verlogene Liste der Steueroasen

vom 23. Juni 2009 (aktualisiert am 17. Januar 2018)
Von: Carsten Wegner

Liebe Leserin, lieber Leser,

wenn sich große, starke Kinder auf dem Schulhof zusammenrotten, haben die kleinen schwachen nicht viel zu Lachen. Egal, ob tatsächlich die Fäuste fliegen oder nur Muskeln wackeln und Worte fallen. Wenn kein Lehrer in der Nähe ist, haben die Bullys das Sagen. Die Kleinen können sich unterordnen, einschleimen, an die bisher gute Freundschaft erinnern oder sich trotzig widersetzen, aber am Ende ist das Taschengeld weg und vielleicht gibt's dazu ein paar aufs Maul. Einfache Regel, trifft meistens zu.

Der Sprung vom Pausenhof zur Weltpolitik ist klein. Der wesentliche Unterschied liegt darin, dass sich die westlichen Industriestaaten sehr viel darauf einbilden, nicht mehr mit Waffengewalt aufeinander loszugehen. Dabei vergessen sie, dass man zum Herumschubsen nicht unbedingt Muskeln braucht - eine dicke Brieftasche reicht schon aus. Bei Staaten spricht man hier von "Wirtschaftsmacht", und die eignet sich hervorragend, um Druck auszuüben.

In den vergangenen Wochen und Monaten war es nicht nur der deutsche Finanzminister Peer Steinbrück, der auf unsere Nachbarn und Freunde Schweiz, Österreich, Liechtenstein und Luxemburg einschlug. Gut, er war der lauteste und unfreundlichste. Er verglich diese Länder unter anderem mit dem afrikanischen Entwicklungsland Burkina Faso und wollte sie anscheinend alle zu einer Unterrichtsstunde über Steuerbetrug einladen. Ein schlechter Vergleich, denn Burkina Faso gilt nun wirklich nicht als Steuerparadies. Doch im Grunde ist es großherzig, wenn ein Minister sich persönlich um die Bildung der Problemschüler kümmert und dabei nur zweitrangig auf Wählerstimmen für seine Partei hofft. Deshalb muss man ihn doch nicht gleich zum meistgehassten Menschen wählen, wie es in der Schweiz der Fall war.

Und wie gesagt: Herr Steinbrück ist nicht allein. Auf seiner Seite steht die Mehrheit der "G-20", der Gruppe der zwanzig wichtigsten Industrie- und Schwellenländer. Deren Regierungschefs einigten sich in den vergangenen Monaten darauf, eine neue "Graue Liste" der Steueroasen durch die OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) zu veröffentlichen. Mit dieser Liste geben sich die brandmarkenden Staaten sozusagen selbst das Recht, die Steueroasen zu drangsalieren, ohne von irgendwem einen Rüffel zu riskieren. Da wird Druck ausgeübt, an den Grenzen wird verstärkt auf Bargeld kontrolliert und schweizerische Bankangestellte müssen sich dreimal überlegen, ob sie das Risiko einer Reise in die USA eingehen.

Merkwürdige OECD-Liste der Steuerparadiese

Auf der erweiterten "Grauen Liste" finden sich alle die Staaten, die die OECD für verdächtig hält, Steueroasen zu sein, die aber zumindest eine Zusammenarbeit mit ausländischen Steuerbehörden in Aussicht gestellt haben.

Erweiterte Graue Liste der Steueroasen laut OECD, Stand: 17. Juni 2009
Andorra Dominica Niue
Anguilla Gibraltar Österreich
Aruba Guatemala Panama
Antigua und Barbuda Grenada Philippinen
Bahamas Hong Kong Saint Kitts and Nevis
Bahrain Liberia Saint Lucia
Belgien Liechtenstein Saint Vincent and the Grenadines
Belize Luxemburg Samoa
Bermudas Macao San Marino
British Virgin Islands Malaysia Schweiz
Brunei Marshall Islands Singapur
Cayman Islands Monaco Turks and Caicos Islands
Chile Montserrat Uruguay
Cook Islands Nauru Vanuatu
Costa Rica Niederländische Antillen  

Diese OECD-Liste der Steueroasen verblüffte mich! Vor allem, weil einige wichtige Vertreter darauf fehlen. Die G 20-Regierungschefs haben bei ihrer Auswahl offensichtlich sachfremde statt steuerliche Beweggründe gelten lassen:

  • Auf der "Weißen Liste" der unverdächtigen Staaten finden sich zum Beispiel die amerikanischen Jungferninseln, die britische Isle of Man und die britischen Kanalinseln Guernsey und Jersey. Sie alle gelten bei Finanzexperten seit Jahren als astreine Steueroasen. Gerade auf den Kanalinseln schlummern Unmengen Schwarzgeld.
  • Irland und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) wurden als steuerliche Musterländer eingestuft, worüber Experten verständnislos den Kopf schütteln.
  • Selbst die Vereinigten Staaten von Amerika (USA) strahlen in weißer Weste. Dabei sind ihre Bundesstaaten Wyoming, Nevada und Delaware ausgesprochene Steueroasen. Ausländer sparen dort mit Corporate-Konstruktionen viel Geld. Amerikaner schalten - zugegebenermaßen beschwerlicher und riskanter - einen Strohmann zwischen, um die Ausländerregel zu nutzen.
  • Eine "Schwarze Liste" der "astreinen" Steueroasen gibt es seit dem 17. Juni 2009 nicht mehr. Für Costa Rica, Malaysia, die Philippinen und Uruguay reichte es aus, zumindest in Aussicht zu stellen, mit den ausländischen Finanzbehörden zusammenzuarbeiten. Sie stehen jetzt auf einer Stufe mit Schweiz & Co.

Alles in allem finde ich es ziemlich verlogen, wie diese Listen zusammengestellt sind! Unsere Nachbarn werden künstlich schlecht gemacht, während man zum Beispiel den USA oder den britischen Kronbesitztümern nicht weh tut.

Freundschaft und Augenhöhe statt Druck und Drohungen

Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich bin selbstverständlich gegen Steuerhinterziehung. Kein Staat der Erde kann es dulden, dass seine Bürger ihr Vermögen ins Ausland schaffen, um weniger Steuern zu zahlen. Wer in Deutschland lebt, Schulen besucht(e), die Infrastruktur nutzt und steuerlich finanzierte (Sozial)Leistungen beansprucht, muss diesen Apparat finanzieren. Der überwiegende Teil der Steuerzahler sieht das zum Glück genauso.

Andererseits darf kein Land seinen Nachbarn vorschreiben, wie hoch sie ihre Bürger und Unternehmen besteuern müssen. Hier sehe ich das große Problem an Steinbrücks Schulhofpöbeleien. Ja, Deutschland ist größer und wirtschaftlich stärker als Luxemburg. Jedoch ist es nicht diese Denkweise, die Europa seit der Nachkriegszeit hat zusammenwachsen lassen. Deutschland und seine Nachbarn wurden Partner, weil sie auf Augenhöhe miteinander verhandelten und zusammenarbeiteten.

Diese Augenhöhe ist es, an die der langjährige deutsche Außenminister Hans-Dietrich Genscher in der ZDF-Talksendung "Maybrit Illner" am 7. Mai 2009 erinnerte und die er auch von der heutigen Regierung forderte. Die Sendung liegt zwar mehr als einen Monat zurück, veranschaulicht aber hervorragend die momentane Lage. Zu Gast war nämlich auch Luxemburgs Premierminister Jean-Claude Juncker, der sein Land nicht als Steueroase sieht und den die Art und Weise störe, wie miteinander umgegangen werde. Bezogen auf Steinbrücks Äußerungen sagte Juncker: "Der stellvertretende SPD-Vorsitzende sagt, früher hätte man Soldaten dorthin geschickt. Das kann man Gott sei Dank nicht mehr tun in Europa." Das Studiopublikum klatschte Beifall.

Unterstützt wurde Premier Juncker zum einen, wie gesagt, von Genscher: "Gegenüber Kleinen sollten Große doppelt freundlich sein". Zum anderen aber von Günter Verheugen, deutscher EU-Kommissar und Steinbrücks Parteifreund. Verheugen sagt, er sehe nicht Luxemburg, Österreich oder die Schweiz als das Problem, sondern habe unter anderem die Kanalinseln im Visier. Die jedoch stehen, wie gesagt, mittlerweile auf der Weißen Liste.

Steinbrücks Ausfälle werden Folgen haben. Das Verhältnis zu den angegriffenen Ländern ist angeschlagen. "Es versteht sich von selbst, dass wir über die Verbalattacken aus Deutschland ausgesprochen verärgert sind", sagte der Luxemburger Parlamentarier Laurent Mosar im Gespräch am Rande eines Partnertreffens des Beraternetzwerks Globogate Mitte Mai 2009 in Luxemburg. Er ließ durchblicken, dass sich dies auf die derzeitigen Verhandlungen über ein neues Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) mit Deutschland auswirken werde.

Wettbewerb statt Kampf

Mein Rat: Steinbrück & Co. sollten ihre Kräfte sinnvoller einsetzen. Zum Beispiel, indem sie Deutschland in steuerlicher Hinsicht ansprechender gestalten. Die Unternehmenssteuerreform war ein zum Teil brauchbarer erster Schritt: In Sachen Körperschaftsteuer gehören wir zum günstigsten Drittel in Europa. Durch die Abgeltungsteuer verbesserte sich zudem die Gesellschafterebene. Doch die Gewerbesteuer und die Einkommensteuer machen diese Fortschritte zunichte.

In Bezug auf Unternehmen ist Deutschland in den Steuerwettbewerb eingestiegen. Doch auf persönlicher Ebene stellen wir die Staaten an den Pranger, die uns einige Schritte voraus sind.

Übrigens hat der schweizerische Kanton Zürich kürzlich die günstige Pauschalbesteuerung für reiche Ausländer abgeschafft. Nach dem Vorbild der Amerikaner sollte das doch ein paar Pluspunkte auf der OECD-Liste wert sein, oder?

Ich wünsche Ihnen eine erfolgreiche neue Woche und niedrige Steuersätze. Herzlichst, Ihr

Carsten Wegner
Herausgeber

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