Sicher muss nicht sein, sondern nur draufstehen

vom 28. März 2013 (aktualisiert am 20. Oktober 2013)
Von: Carsten Wegner

Liebe Leserin, lieber Leser,

die Bundesregierung drängt immer mehr darauf, dass wir nicht mehr per Post an unsere Ämter schreiben, sondern auf elektronischem Weg. Doch das bevorzugte De-Mail-Verfahren ist umstritten. Was glauben Sie, wie die Regierung für unsere Sicherheit im elektronischen Datenverkehr sorgt? Können wir uns auf unsere gewählten Experten verlassen?

Schauen wir uns zum Vergleich ein paar andere Berufsgruppen an:

Was dem Handwerker nicht passt, das macht er sich passend. Manche Leute nennen diese Vorgehensweise schludrig, andere pragmatisch. Auf jeden Fall bietet sie viel Potenzial für Witze und Sketche.

Völlig schmerzfrei arbeitet der Wirtschaftswissenschaftler: Was er nicht erklären kann, setzt er als gegeben voraus. In seinen Rechnungen schleppt er ominöse Konstanten mit sich herum, die sich vielleicht Jahrzehnte später jemand genauer anschaut - und alles Bisherige über den Haufen wirft.

Keinerlei Schludrigkeit, sondern die höchste Kunst des Pragmatismus findet man beim Mathematiker: Was ihm nicht passt, das definiert er sich so, wie er es braucht. Zumindest aus der Sicht von Menschen, die wenig Ahnung von den hohen Theorien haben und gerne den folgenden Witz erzählen: "Wie umzäunt ein Mathematiker eine Herde Rinder? Er wickelt sich in Stacheldraht ein und definiert sich selbst als draußen."

Ein letztes Beispiel aus dem Kuriositätenkabinett, bevor es wirklich ärgerlich wird: Die Europäische Union hatte vor vielen Jahren Möhren als Obst eingestuft, damit die Portugiesen weiterhin ihre Möhrenmarmelade vertreiben durften. Denn Marmelade wird laut Definition aus Obst hergestellt, nicht aus Gemüse, und es wäre ja ein hirnverbrannter Gedanke, die selbstgewählten Regeln für Marmelade zu ändern, statt mit Nahrungsmitteln zu jonglieren.

Wenn sich der Postbote Ihre Steuererklärung anschaut

Unsere Bundesregierung vereinigt alle Eigenschaften aus diesen vier Beispielen auf sich:

  • mangelnde Gründlichkeit und/oder Unlust, rechtzeitig einen Zollstock anzulegen,
  • Unwissenheit,
  • Realitätsferne,
  • blinde Sturheit und/oder Mauschelei.

Denn das De-Mail-Verfahren ist alles andere als sicher. Normalerweise verschlüsselt der Absender seine Nachricht und nur der Empfänger besitzt den Schlüssel zum Öffnen. Bei De-Mail jedoch öffnet erst der Dienstanbieter die Nachricht, prüft sie, verschlüsselt sie wieder und leitet sie danach an den Adressaten weiter. Oder an den nächsten Dienstleister, der ebenfalls reinschaut. Das sei ein bisschen, als öffne die Deutsche Post alle Briefe unterwegs, um nachzusehen, ob nichts Gefährliches darin stecke, schrieb Spiegel Online vorige Woche zu diesem Thema.

Alles steht und fällt mit den Absichten desjenigen, der auf die entschlüsselte Nachricht zugreifen kann. Wie vertrauenswürdig sind Institutionen und Unternehmen, die aus Menschen bestehen? Bei der Schneckenpost kann das Finanzamt wenigstens am Umschlag erkennen, ob sich der Briefträger unterwegs die Steuererklärung seines Chefs reingezogen hat oder nicht.

Wie will die Bundesregierung nun dieser Unsicherheit begegnen? Indem sie auf Fachleute hört? Das Verfahren überdenkt? Natürlich nicht. Sie schreibt schlichtweg "sicher" drauf. Per Gesetz. Derzeit wird über einen Absatz diskutiert, wonach De-Mail trotz der Entschlüsselung nicht gegen das Verschlüsselungsgebot verstößt.

Wenn einem nichts Besseres einfällt, muss man halt mit den Begriffen jonglieren und sich die Wirklichkeit zurechtbiegen.

Genau das mache ich jetzt auch: Ich erkläre hiermit Schnee zu grünem Gras, Wolken zu Sonne, Rentiere zu Osterhasen - und wünsche Ihnen mit diesen ein paar freundlich-frühlingshafte Festtage.

Herzlichst, Ihr

Carsten Wegner
Herausgeber