Neue Erbschaftsteuer mit Potenzial zur "Dummensteuer"

vom 27. November 2008 (aktualisiert am 03. Januar 2012)
Von: Lutz Schumann

Liebe Leserin, lieber Leser,

nach jahrelangem Ringen haben CDU, CSU und SPD heute, am 27. November 2008, die Erbschaftsteuerreform im Bundestag durchgewunken. Das neue Gesetz erhielt 386 Ja-Stimmen, 3 Enthaltungen und 168 Gegenstimmen. 28 Gegenstimmen entfielen auf Abgeordnete aus dem Unionslager. Besonders stolz ist man in Berlin über die Kompromisse bei Immobilien und Betriebsvermögen.

Selbstgenutzte Immobilien erhalten besondere Privilegien: So kann der überlebende Ehepartner Haus oder Wohnung ohne Wertobergrenze steuerfrei übernehmen, wenn er zehn Jahre dort wohnen bleibt. Vermietung, Verpachtung und Verkauf führen zur Steuerpflicht. Einzige Ausnahme: Der Auszug wegen Pflegebedürftigkeit.

Fatal: Bei der 10-Jahresgrenze gilt das Fallbeilprinzip. Selbst wenn der Erbe einen Tag vor Ablauf der Frist die Immobilie verkauft, muss er die volle Erbschaftsteuer zahlen und nicht etwa nur eine anteilige für die übrigen Jahre bis zum Fristablauf.

Unternehmenserben zahlen unter folgenden Bedingungen keine Steuern:

  • Die Erben führen die Firma mindestens sieben Jahre fort. Dann müssen sie nur 15 Prozent der Steuerschuld begleichen. Voraussetzung: Die Lohnsumme des Unternehmens liegt am Ende bei 650 Prozent des Ausgangswerts.
  • Die Erben führen die Firma mindestens zehn Jahre fort. In diesem Fall entfällt die Steuerschuld vollständig. Voraussetzung: Die Lohnsumme des Unternehmens liegt bei 1.000 Prozent des Ausgangswerts. Außerdem darf das Verwaltungsvermögen, zum Beispiel Wertgegenstände, nicht mehr als zehn Prozent des Firmenwerts ausmachen.
  • Für Firmen mit zehn oder weniger Beschäftigten entfällt die Lohnsummenklausel.
  • Für Firmenerben gibt es keine Fallbeilregelung wie bei Immobilienerben. Wer also seinen geerbten Betrieb vor Fristablauf verkauft, zahlt anteilige Erbschaftsteuer für die übrig bleibenden Jahre.

In einem meiner nächsten Steuer-Newsletter werden Sie eine tiefer gehende Darstellung lesen, wer durch das neue Gesetz zur Erbschaftsteuer gewinnt oder verliert und wie Sie als Erbe oder Erblasser möglichst steuergünstig vorsorgen. Außerdem werden Sie Stimmen für und gegen die Gesetzesänderung hören.

Heftige Kritik auf dem Steuerberatertag

Am heutigen Tag ist erst einmal zu kritisieren, auf welche Weise die Reform zustande kam. Sie war nötig geworden, weil das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) das alte Gesetz zur Erbschaftsteuer am 7. November 2006 als verfassungswidrig ansah. Das BVerfG setzte die Frist, das Gesetz bis zum 31. Dezember 2008 neu zu regeln.

Foto Jürgen Pinne, DStV

DStV-Präsident Jürgen Pinne eröffnet den Steuerberatertag 2008 in Bonn. (Foto: DStV)

Zwei Jahre Zeit also - die weitestgehend verstrichen, ohne dass sich etwas tat. Erst in den letzten Monaten dieses Jahres wachten die Politiker auf und versuchten, eine Reform zusammenzuschustern und durch die Gesetzgebungsorgane zu winken. Dieser Umstand nahm zum Beispiel auf dem 31. Steuerberatertag großen Raum ein, den der Deutsche Steuerberaterverband (DStV) vom 20. bis 22. Oktober 2008 in Bonn ausrichtete.

Einige Kritikpunkte der Steuerberater, Finanzrichter, Wissenschaftler und Finanzbeamten auf dem Steuerberatertag:

  • Ein Grundproblem der Erbschaftsteuerreform seien die politischen Ziele gewesen, sagte DStV-Präsident Jürgen Pinne. Denn nach dem Willen der Politiker sollte das Steueraufkommen von mindestens 4 Milliarden Euro beibehalten werden, gleichzeitig aber möglichst niemand belastet werden. "Ein Steueraufkommen ohne Belastung lässt sich nur als Quadratur des Kreises bezeichnen, die zum Scheitern verurteilt ist", sagte Pinne.
  • Konkret: Nur rund fünf Prozent der Erbschaftsteuerpflichtigen sollten die (Erbschaftsteuer-)Rechnung zahlen. Das seien vor allem Geschwister, Neffen, Nichten und nicht verwandte Erben sowie Erben von Mietimmobilien und Firmenvermögen, wenn dieses nicht fortgeführt würde. Damit stehe der Regierungsentwurf verfassungsrechtlich auf dünnem Eis, wie sich schon März 2008 in der Anhörung im Finanzausschuss des Deutschen Bundestags herausgestellt habe. "Nur fünf Prozent der Steuerpflichtigen zur Zahlung heranzuziehen, ist schon mit dem Gleichheitssatz schwer vereinbar", sagte Pinne.
  • Zwischen privilegiertem - sprich zu verschonendem - und schlechtem Vermögen zu unterscheiden, sei sachlich nicht gerechtfertigt, führte Jürgen Pinne aus. Daraus ergäben sich Praxisprobleme, die sowohl die Beraterschaft als auch die Finanzverwaltung gleichermaßen unverhältnismäßig belasteten.
  • Diese Probleme wiederum wögen noch schwerer angesichts des winzigen Zeitfensters, das zwischen Verabschiedung und Inkrafttreten der zahlreichen Neuregelungen bliebe. In diesem Zeitfenster seien Schenkungen als Alternativen zur Erbschaft aufs bestehende und neue Recht hin zu prüfen. "Die den Bürgern zugesagte Übergangsfrist kann nicht mehr eingehalten werden. Der Stillstand wird allein auf dem Rücken der Steuerpflichtigen ausgetragen", kritisierte DStV-Präsident Pinne.

Mein Fazit: Keiner der Betroffenen konnte bislang konkret planen. Jetzt bleibt ihnen gerade einmal ein Monat Zeit, um alle Alternativen zu prüfen und umzusetzen. Derartige Zustände sind völlig inakzeptabel. Ich behaupte, wir dürfen von unseren obersten gewählten Volksvertretern eine gewissenhaftere Arbeit verlangen.

Erbschaftsteuer: Nutzbringer oder Dummensteuer? Ein Blick in die Zukunft

Für die neue Erbschaftsteuer sage ich vorher: Durch die verschiedenen Freibeträge und Ausnahmeregeln werden die kleinen bis mittleren Vermögen - und damit der größte Teil der Erben - keine Erbschaftsteuer zahlen. Genau so haben es die Politiker beabsichtigt.

Gleichzeitig aber werden sich die größeren Vermögen absetzen, wenn sie es denn nicht schon längst getan haben. Eine ausländische und völlig legale Stiftung ist schnell gegründet. Das erbschaftsteuerfreie Ausland grenzt direkt an Deutschland. Es bietet hohe Lebensqualität, um seinen Ruhestand zu verbringen. Auch für die Erbengeneration dürfte es attraktiv genug sein. Es ist nicht einmal nötig, eine neue Sprache zu lernen.

Am Ende werden nur diejenigen Erben Steuern zahlen, die entweder nicht fliehen können oder denen der Aufwand zu groß ist oder aber die eine gerechte Gegenleistung des Staats für die gezahlte Erbschaftsteuer erkennen. Man könnte auch sagen: Nur die Ehrlichen werden die Rechnung zahlen. Der Volkmund nennt den Ehrlichen auch "den Dummen". Deshalb ist unter den Steuerrechtlern schon seit vielen Monaten wieder von einer "Dummensteuer" die Rede. Dummensteuern wiederum - solche hat das Verfassungsgericht bislang fast immer einkassiert. Zumal möglicherweise der Gleichheitsgrundsatz verletzt ist, wie oben erwähnt.

Übrigens: Es ist gar nicht mal sicher, ob die "Ehrlichen" mit einer nennenswerten Gegenleistung für ihr Geld rechnen können. Denn verglichen mit dem, was die Erbschaftsteuer finanziell bringt, kostet ihre Erhebung zu viel. Wenn schon für eine einzige Erbschaft Steuerformulare von mehreren Zentimetern Dicke abzugeben sind, dann handelt es sich um ein wahres Bürokratiemonster. Befragen Sie dazu einfach mal den Testamentsvollstrecker Ihres Vertrauens!

Ich wünsche Ihnen eine schöne Restwoche und ein erholsames Wochenende. Herzlichst, Ihr

Unterschrift Lutz Schumann

Lutz Schumann
Chefredakteur und Herausgeber

P.S.: Ein aufmerksamer Leser wies freundlicherweise auf eine Ungenauigkeit in der vergangenen Ausgabe meines Steuer-Schutzbrief-Newsletters hin. Ich informierte Sie darüber, dass "alle" freiwilligen Mitglieder einer gesetzlichen Krankenversicherung ab 2009 ihren Anspruch auf Krankentagegeld verlieren. Betroffen sind jedoch nicht "vor allem", sondern ausschließlich Selbstständige und Freiberufler. Für Arbeitnehmer ändert sich nichts.

Ich bedanke mich für die aufmerksame Kritik und entschuldige mich bei allen Lesern, die ich unnötig beunruhigt haben mag.

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