Ämter, drückt euch klarer aus!

vom 05. Februar 2010 (aktualisiert am 20. Oktober 2013)
Von: Carsten Wegner

Liebe Leserin, lieber Leser,

Je verständlicher sich Behörden ausdrücken, desto weniger Fragen haben die Bürger und desto weniger Fehler machen sie. Das wiederum verursacht weniger Arbeit in den Behörden, wodurch der Staat Geld spart. Manchmal nimmt der Staat sogar mehr Geld ein, wenn die Dinge einfach sind.

Ein Beispiel für diesen geheimnisvollen Zusammenhang ist das Elterngeld: Viele Eltern wissen nicht, dass sie möglicherweise mehr Steuern zahlen müssen, wenn sie den Zuschuss vom Staat erhalten, und dass sie deshalb eine Einkommensteuererklärung abgeben müssen. In einigen Fällen steigt ihre Steuerlast um mehr als 1.000 Euro. Da ihnen das nicht bewusst ist, behalten sie das Geld - und gehen damit einige Risiken ein, wie der Artikel "Elterngeld-Empfängern droht hohe Steuernachforderung" zeigt.

Mit jedem Tag steigt die Gefahr, dass der Fiskus die Augen öffnet, freundlichst bei den Eltern nachfragt und gegebenenfalls auf einen Schlag Steuern für mehrere Jahre nachfordert. Vor allem, wenn einem findigen Ministerialbeamten auffällt, um wie viele Millionen Euro es für die klamme Staatskasse gehen könnte.

Keine Steuerhinterziehung, sondern Versehen oder Unwissenheit

Beschummeln die Eltern ihr Finanzamt mit Absicht? Manche vielleicht - die meisten wohl kaum. Tatsache ist, dass sie an keiner Stelle ganz klipp und klar erfahren, was Sache ist.

Im Elterngeldantrag steht unter "Hinweise" (Auszug):

"Das Elterngeld ist in Höhe des jeweiligen Mindestbetrages nicht pfändbar. Es ist steuerfrei, unterliegt aber wie andere Entgeltersatzleistungen dem Progressionsvorbehalt des § 32b EStG."

Das Schlüsselwort ist hier der "Progressionsvorbehalt". Der fortgeschrittene Steuerzahler versteht das vielleicht. Der normalsterbliche Steuerlaie jedoch kennt Bedeutung und Folgen nicht in vollem Ausmaß. Der Begriff meint, dass das Elterngeld zwar nicht direkt steuerpflichtig ist. Doch indirekt erhöht es den persönlichen Steuersatz der Eltern und somit die Steuerlast (vorausgesetzt, das Elterngeld beträgt mehr als 410 Euro im Jahr und es liegen weitere Einkünfte vor).

Wenn man eine Ecke weiter denkt, dann weiß das Finanzamt nichts über den Bezug oder die Höhe des Elterngelds. Auf der Gehaltsabrechnung des Arbeitgebers steht so etwas nicht drauf. Die Eltern müssen ihr Finanzamt informieren: durch ihre Steuererklärung. Der Progressionsvorbehalt bedeutet also indirekt, dass Eltern eine Einkommensteuererklärung abgeben müssen.

Sechs Wörter lösen das Problem

Warum steht bei den oben erwähnten Hinweisen nicht ein zusätzlicher Satz wie: "Möglicherweise müssen Sie eine Steuererklärung abgeben"? Platz ist dafür allemal, die Druckkosten hielten sich in Grenzen, die Aufklärungswirkung wäre enorm.

Die offizielle Broschüre "Elterngeld und Elternzeit" des Bundesfamilienministeriums erwähnt das Thema "Steuererklärung" mit keinem Wort, nicht einmal im Abschnitt "Pflichten". Wenigstens ist man hier etwas mitteilsamer als auf dem Antragsformular und schreibt:

"Wird das Elterngeld besteuert?

Das Elterngeld selbst ist steuerfrei, es unterliegt dem Progressionsvorbehalt. Das heißt: Das Elterngeld wird zur Ermittlung des anzuwendenden Steuersatzes dem übrigen zu versteuernden Einkommen hinzugerechnet. Damit ergibt sich ein höherer Steuersatz, der aber nur auf das übrige Einkommen angewendet wird."

Fast vorbildlich drücken sich die Ämter auf dem Elterngeldbescheid aus, also auf dem letztendlich wichtigsten Dokument:

"Hinweis zum Progressionsvorbehalt:

Das Elterngeld unterliegt gemäß § 32b Abs. 1 Nr.1 Buchstabe J) Einkommensteuergesetz (EStG) grundsätzlich dem Progressionsvorbehalt. Das bedeutet: Für das Elterngeld selbst brauchen Sie keine Steuern zu zahlen. Allerdings bewirkt das Elterngeld, dass Sie für Ihr übriges Einkommen mehr Steuern zahlen müssen. Für ihre Steuererklärung erhalten Sie nach Ablauf des jeweiligen Kalenderjahres eine Bescheinigung über das im Kalenderjahr gezahlte Elterngeld. Möglicherweise bittet das Finanzamt Sie auch um Vorlage dieses Elterngeldbescheides. Bewahren Sie diesen Bescheid daher bitte sorgfältig auf."

Der geneigte Laie mag hier immer noch herauslesen: "Für die Steuererklärung aufbewahren - betrifft mich nicht, ich brauche eh keine abzugeben. Vielleicht meldet sich das Finanzamt noch mal bei mir? In Ordnung, ich wollte den Schrieb sowieso aufbewahren."

Liegt die Schuld beim Laien?

Beschreibe ich mit dieser Lesart den "dümmsten anzunehmenden Steuerzahler", der nicht unbedingt Maßstab für das Formulieren amtlicher Schreiben sein muss? Nehme ich Steuerlaien zu unrecht in Schutz? Bewahrt Unwissenheit in diesem Fall nicht vor Strafe, wie die Abteilungsleiterin einer kommunalen Elterngeldstelle auf meine Nachfrage hin anmerkte?

Ich glaube nicht. Man kann Eltern nicht vorwerfen, dass sie sich genauso verhalten wie in den Jahren zuvor und keine Steuererklärung erstellen. Man kann ihnen auch nicht vorwerfen, dass sie nicht nachbohren. Denn dazu fehlt ihnen der Anlass. Man kann aber den zuständigen Beamten vorwerfen, dass sie keinen solchen "Anlass" klar, einfach und verständlich in den Bescheid eingebaut haben:

"Herzlichen Glückwunsch zur Geburt Ihres Schreihalses. Gerne unterstützen wir Sie monatlich mit ganz viel Geld etc. pp.. Möglicherweise müssen Sie wegen des Elterngeldbezugs eine Einkommensteuererklärung einreichen, bitte prüfen Sie dies."

Wie wichtig es ist, die "ach so dummen Eltern" zu informieren, war sogar dem Gesetzgeber klar. Es heißt im Paragraf 32b Absatz 3 Satz 2 Einkommensteuergesetz (EStG):

"Der Empfänger der Leistungen ist entsprechend zu informieren und auf die steuerliche Behandlung dieser Leistungen und seine Steuererklärungspflicht hinzuweisen."

Hier steht es endlich, das lange gesuchte Wort: Steuererklärungspflicht. Und zwar nicht in Form einer Anweisung an den Steuerzahler, sondern als Anweisung an die amtlichen Stellen.

Am ärgerlichsten ist es, wenn man sich den Gesamtzusammenhang anschaut: An allen Ecken und Enden wird gefordert, die Bürokratie abzubauen und den Umgang mit den Bürgern verständlicher zu gestalten. Nun steht sogar eine klare, bürgerfreundliche Anweisung im Gesetz – doch folgerichtig beachtet wird sie nicht. Stattdessen wurde möglicherweise eine bürokratische Mammutaufgabe geschaffen.

Ich sehe es schon kommen: Bald werden alle Steuerjahre seit 2007 rückabgewickelt, um die fehlenden Steuern einzutreiben. Denn um Kleingeld geht es hier nicht.

Ich wünsche Ihnen ein erholsames Wochenende, vor allem wenn Sie gerade Eltern geworden sind. Herzlichst, Ihr

Carsten Wegner
Herausgeber