Steuermoral Teil I: Warum es "zu wenig" Steuerhinterzieher gibt

vom 06. September 2008 (aktualisiert am 03. Januar 2012)
Von: Lutz Schumann

Liebe Leserin, lieber Leser,

was glauben Sie: Wie ehrlich sind die Menschen, wenn es um die Steuer geht? Schließlich wird an Stammtischen, in den Medien und in verschiedensten Befragungen über die Steuer geschimpft, was das Zeug hält. Immer wieder versuchen Leichtsinnige, sich gegenüber Freunden mit ihren einfallsreichen, vermeintlich unaufdeckbaren, aber illegalen Tricks zu profilieren. Der Auftritt der Steuerfahnder beim Ex-Postchef Klaus Zumwinkel brachte Unmengen Schummler dazu, dem Finanzamt ihre Verstöße zu gestehen. Und jedes Jahr verlassen Deutsche nicht zuletzt wegen der Abgabenlast das Land.

Unzufriedenheit? Ja. Aber Unehrlichkeit? Mitnichten! Ich war selbst überrascht zu erfahren, wie brav wir alle in Wirklichkeit sind. In Sachen Steuer sind wir nahezu fromme Lämmer. Zu diesem Ergebnis kam jedenfalls der Schweizer Wirtschaftswissenschaftler Benno Torgler von der Queensland University of Technology in Australien.

Steuerhinterziehung wissenschaftlich überprüft

Torgler ging von verbreiteten der Annahme aus, dass der Mensch in Geldfragen nach dem höchstmöglichen Gewinn strebt. Demnach hält nur die Angst vor Strafe den wirtschaftlich handelnden Menschen davon ab, "zu viel" Geld auf unehrliche Weise anzusammeln.

Ein praktisches Beispiel, das auf dieser Annahme fußt, ist das Schwarzfahren in öffentlichen Verkehrsmitteln: Anhand der Wahrscheinlichkeit, erwischt zu werden, und der dann fälligen Strafe kann der Fahrgast errechnen, ob es sich lohnt, einen Fahrschein zu ziehen. Je teurer auf lange Sicht der Fahrschein im Vergleich zur Strafe ist, desto eher neigt der Gast zum Betrügen.

Der Schweizer Wissenschaftler stellte eine ähnliche Formel für die Steuerehrlichkeit auf. Als veränderliche Größen speiste er für verschiedene Länder unter anderem die Wahrscheinlichkeit einer Steuerprüfung sowie die Höhe der angedrohten Buße ein. Theoretisch sollte sich so berechnen lassen, wie viele Menschen ihr Finanzamt betrügen.

In Deutschland und in den meisten anderen Ländern ist die Gefahr einer Steuerprüfung so niedrig, dass Schummeleien selten auffallen. Steuern zu hinterziehen, sichert also einen Vermögenszuwachs. Hinzu kommt, dass ein überführter Steuerbetrüger nicht wie andere Straftäter mit Anfeindungen oder Schwierigkeiten seitens seiner Mitmenschen rechnen muss. Im Gegenteil: In den 70er Jahren galt Steuerhinterziehung laut einer Umfrage nur als ein bisschen schlimmer als Fahrraddiebstahl; in einer aktuellen Umfrage wurden die Hinterzieher als intelligenter und fleißiger eingeschätzt als die braven Steuerzahler.

Die Entdeckung der Steuermoral

Trotz all dieser Ausgangsbedingungen entsprach das Ergebnis der Berechnungen ganz und gar nicht der Wirklichkeit. Laut Formel hätten deutlich mehr Leute Steuern hinterziehen müssen, als tatsächlich der Fall war. Die Wissenschaftler waren unsicher über die Gründe. War die Formel falsch? Oder stimmte die Annahme nicht, dass der Mensch immer nach dem höchstmöglichen Gewinn strebt?

Weitere Forschung und verbesserte Methoden lassen den Schluss zu, dass es einen erklärenden Faktor "Steuermoral" gibt. Dieser scheint unabhängig vom möglichen Vermögenszuwachs und von der angedrohten Strafe zu sein. Die Steuermoral ist umso höher, je ausgeprägter die Religiosität, der Nationalstolz, der Grad der politischen Mitsprache und das Vertrauen in den Staat sind.

Was glauben Sie, liebe Leserin, lieber Leser, wodurch sich die Steuermoral erhöhen lässt - und damit die Summe der ehrlich abgeführten Steuer an den Staat? Was für Umstände hingegen treiben die frommen Lämmer ins Illegale?

Ich spanne Sie nur ungern auf die Folter, aber vielleicht liest ja der ein oder andere Politiker hier mit. Diese sollen die Möglichkeit erhalten, das Gelesene sacken zu lassen und eigene Schlüsse zu ziehen. Außerdem möchte ich dieses Editorial nicht mit zu vielen wissenschaftlichen Erkenntnissen überfrachten. Deshalb verrate ich erst in der nächsten Ausgabe meines Steuer-Newsletters, welche Maßnahmen des Staats die Steuerehrlichkeit fördern.

Nur so viel: Die höhere Verjährungsfrist für Steuerstraftaten, die steigende Überwachung und Kontrolle und die medienwirksame Angstmache der Steuerfahndung gehören nicht dazu. Dies alles waren Themen meiner diesjährigen Editorials. Ein Fingerzeig in die richtige Richtung kommt übrigens mal wieder aus der Schweiz. Doch dazu später mehr.

Ich wünsche Ihnen ein erholsames Wochenende und eine angenehme neue Arbeitswoche. Herzlichst, Ihr

Unterschrift Lutz Schumann

Lutz Schumann
Herausgeber und Chefredakteur