Regierung stellt Steuerhinterziehung mit sexuellem Missbrauch gleich

vom 27. Juni 2008 (aktualisiert am 17. September 2017)
Von: Lutz Schumann

Liebe Leserin, lieber Leser,

ob die Mitglieder der Bundesregierung wussten, was sie taten, als sie am 18. Juni 2008 den Referentenentwurf für das Jahressteuergesetz 2009 (JStG 2009) beschlossen? Dieser Gesetzentwurf sieht unter anderem vor, die strafrechtliche Verjährungsfrist für Steuerhinterziehung von 5 auf 10 Jahre zu verdoppeln. Angesichts der jüngsten Fälle von Steuerhinterziehung sei dies eine sinnvolle Maßnahme, um Steuerbetrug einzudämmen, heißt es in der Begründung. Außerdem wolle man die strafrechtliche Frist an die Verjährungsfrist für Steuernachforderungen anpassen, die bereits bei 10 Jahren liege.

Traurig: Mit ihrem Beschluss stellt die Regierung Steuerhinterziehung auf eine Stufe mit sexuellem Missbrauch und Freiheitsberaubung!

Bislang ist eine 10-jährige Verjährungsfrist nur für solche Taten gesetzlich vorgesehen, die mit 5 bis 10 Jahren Gefängnis bestraft werden. Dazu zählen zum Beispiel der sexuelle Missbrauch, die qualifizierte Freiheitsberaubung sowie der banden- und gewerbsmäßige Betrug. Zum Vergleich: Eine 5-jährige Verjährungsfrist ist für allgemeine Vermögensdelikte vorgesehen, die mit bis zu 5 Jahren Haft bestraft werden, beispielsweise Betrug, Diebstahl, Unterschlagung, Veruntreuung und eben Steuerhinterziehung.

Wer glaubt, dieser unsägliche Vergleich zwischen Steuerhinterziehung und Straftaten an Leib und Leben eines Menschen sei ein unglücklicher Ausrutscher in einem ansonsten sinnvollen Gesetzentwurf, sollte sich die Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins (DAV) ansehen. Selbst für Rechtslaien ist es köstlich zu lesen, wie der DAV die doppelte Verjährungsfrist in 9 Punkten zerpflückt und dadurch verdeutlicht, wie wenig Ahnung die verantwortlichen Politiker von unserer Rechtsordnung haben.

Kurzfassung der DAV-Kritikpunkte an der erhöhten Verjährungsfrist:

1. Die längere Verjährungsfrist schafft nicht weniger, sondern neue Widersprüche, wie Steuerstraftaten zu bewerten sind.

2. Wer ein Vermögensdelikt am Staat verübt, würde härter verfolgt als bei einem Vermögensdelikt an einer Privatperson (zum Beispiel Diebstahl, Betrug, Unterschlagung). Eine solche Besserstellung widerspricht geltendem Recht und ist materiell nicht zu rechtfertigen.

3. Die straf- und zivilrechtliche Verjährungsfrist müssen nicht angeglichen werden. Einen solchen Gleichlauf gibt es auch in anderen Rechtsgebieten nicht - die unterschiedlichen Fristen sind sogar gewollt.

4. Die verschiedenen Verjährungsfristen lassen sich ohnehin niemals angleichen, da die Vorschriften für Beginn, Hemmung, Ruhen etc. deutlich voneinander abweichen.

5. Die Autoren des Referentenentwurfs maßen sich an, es besser zu wissen als der Bundesgerichtshof (BGH) und dessen "rechtliche Fehler" zu berichtigen.

6. Eine längere Verjährungsfrist führt zu höheren Strafen, auch wenn das Bundesfinanzministerium (BMF) dies gar nicht beabsichtigt.

7. Die bisherige Verjährungsfrist stellt bereits eine Sonderregelung dar und würde sich durch den Referentenentwurf noch weiter von der Gesetzessystematik entfernen.

8. Die wirkliche Absicht der Regierung ist klar: Die Finanzämter und Steuerfahnder sollen mehr Zeit bekommen, um ihre Arbeit zu erledigen. Das wäre nicht nötig, wenn der Staat die Finanzbehörden nicht mangelhaft ausstatten würde.

9. Im Referentenentwurf ist nicht klargestellt, dass die längere Verjährungsfrist nur für Straftaten gilt, die bei Inkrafttreten des Gesetzes noch nicht verjährt sind. Dies steht nur in der Begründung des Entwurfs.

Kritik und taube Ohren

So stichhaltig diese Kritikpunkte auch sind - ohne eine kräftige Stimme werden sie kaum zu den Politikern durchdringen, geschweige denn etwas verändern. Steuerhinterzieher haben nun mal keine mächtige Unterstützergruppe in Deutschland. Jedenfalls keine, die sich öffentlich als solche zeigen würde.

Verstehen Sie mich nicht falsch: Steuerhinterziehung ist wahrlich kein Kavaliersdelikt und wird zurecht verfolgt! Doch ich habe ein Problem mit der Art und Weise, wie die Regierung Steuersünder kriminalisiert. Wie stark schadet ein Schwarzarbeiter der Gesellschaft oder einem einzelnen Menschen, wenn man seine Tat mit der eines Vergewaltigers vergleicht? Die Verhältnismäßigkeit muss gewahrt werden!

Hinzu kommt, dass viele Steuerhinterzieher sich in einer fatalen Lage sehen: Der Gesetzgeber erhöht fortwährend die Steuern - direkt und indirekt - und verkompliziert das ganze System. Dadurch schuf er längst eine Steuerlandschaft, in der viele Bürger von ihrem hart erarbeiteten Einkommen mehr an den Staat abgeben müssen, als sie zum Leben behalten dürfen. Im amerikanischen Steuerrecht ist diese 50-Prozent-Marke als "psychologische Belastungsgrenze" bekannt. Man könnte auch sagen: Ab diesem Punkt fühlen sich die Bürger derart ungerecht behandelt, dass sie dazu neigen, sich ebenfalls ungerecht zu verhalten.

In dieser Steuerlandschaft ist "Knast für alle - noch härter und länger!" der falsche Wegweiser in Richtung Steuerehrlichkeit. Besser wären Zeichen, die für mehr Hoffnung, Wohlstand, Vertrauen, Einfachheit und Gerechtigkeit stehen. Was wir brauchen, sind mehr Ansätze wie Minijobs, Midijobs oder haushaltsnahe Dienstleistungen. Viel mehr davon! Denn ehrlich gesagt: Außer diesen drei Beispielen sind mir keine weiteren Fortschritte der vergangenen Jahrzehnte eingefallen. Und das tut wirklich weh.

Ich wünsche Ihnen ein sonniges Wochenende und ein spannendes EM-Finale. Herzlichst, Ihr

Unterschrift Lutz Schumann

Lutz Schumann
Herausgeber und Chefredakteur